Leseprobe Mila und Paul – Sonne im Norden

Ein Auszug aus meinem Roman Mila und Paul – Sonne im Norden.

Kapitel 1
Erst vor Kurzem war eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich war mitten in der Scheidungsphase, was mir ohnehin eine Seite im Leben vor Augen führte, auf die ich liebend gerne verzichtet hätte. Dazu habe ich einen rebellischen und pubertierenden Sohn, der heimlich die Nacht zum Tage macht und somit seiner Pflicht nachkommt, mir das Leben etwas beschwerlicher zu machen. Zusätzlich schwänzt er regelmäßig die Schule. Und nur wenige Wochen später erlitt mein Vater einen schweren Herzinfarkt, bei dem ich anwesend war und zum ersten Mal in meinem Leben jemanden wiederbeleben musste. Also ein beinahe durchschnittlich chaotisches Familienleben mit allem, was dazu gehört.
Doch davon abgesehen gibt es noch die glücklicheren Tage. An diesen Tagen wird der herzkranke Vater aus dem Krankenhaus entlassen, es kommt kein böser Brief ins Haus und ein belehrender Anruf der Klassenlehrerin bleibt aus. Der Sohn hat ebenfalls einen guten Tag und kommt sogar mit Hausaufgaben nach Hause, die er auch ohne Aufforderung erledigt. Um das zu belohnen, unternehmen wir irgendetwas oder statten Oma und Opa einen Besuch ab.
Ich bin Paul, ein depressiver und einsamer Mann in der Blüte seines Lebens. Und so sieht mein Alltag aus.

Heute war wieder so ein herrlicher Tag, der sich seinem Ende näherte. Wir hatten das Abendessen beendet und Tim war anschließend in sein Zimmer gegangen. Er hatte die Tür zu. Für die Schule gab es nichts zu tun, weshalb ich davon ausging, dass er sich die Zeit mit einem Videospiel vertrieb. Immerhin war er schon dreizehn Jahre alt und der Letzte in seiner Klasse, der eine Spielekonsole sein Eigen nennen durfte. Ich nutzte den restlichen Abend dafür, mir ein Profil auf einer dieser Online-Partnerbörsen zu erstellen. Für den norddeutschen Raum gab es sogar eine, die von all den anderen besonders herausstach. Was war für einen Hamburger Neu-Single passender als eine Singlebörse nur für den Norden? Ich war froh, den Dschungel von Partnerbörsen, Singleseiten, Sextreffen und anderen dubiosen Kontaktseiten für Abenteuer jeglicher Art erfolgreich durchkämpft zu haben. Aber das Ausfüllen der vielen Felder war nicht weniger schlimm für mich. Noch nie habe ich so viel über meine Interessen, Vorlieben und insgesamt eine Beschreibung über mich als menschliche Person nachgedacht. Dabei stellte ich ziemlich schnell fest, dass ich kaum etwas über mich wusste. Und meine Aufgabe bestand nun darin, mich besser kennenzulernen und das Online-Profil zu vervollständigen. Anfangs hatte ich Mühe damit, doch je weiter ich vorankam, desto mehr Spaß bereitete es mir. Das Gefühl, welches ich dabei empfand, war ein mir unbekanntes, ein schönes und dennoch unheimliches. Ob es die Vorfreude, die Angst oder das Herzklopfen war, das sich in meinem Körper ausbreitete, konnte ich nicht herausfinden. Mir wurde warm im Gesicht und ich hatte ein Ziel vor Augen: Jemanden finden, der mich mit meiner Angsterkrankung akzeptieren konnte. Dabei war es mir egal, ob sich Freundschaften entwickeln oder ich doch die Liebe meines Lebens finden würde. Hauptsache, ich kam aus diesem richtig fiesen Strudel von Depressionen und Angst heraus. Seit ich diese Last mit mir herumtrug, schien mein Umfeld sich immer mehr zu distanzieren. Tim war einer der wenigen Menschen, der sich trotz seiner pubertären Dickköpfigkeit um mich sorgte, auch wenn es häufig nicht danach aussah und er gegen mich zu arbeiten schien. Doch im Bett liegend grübelte ich oft darüber nach und stellte die Theorie auf, dass mein Sohn mir nicht sagen mochte, wie sehr er sich um mich sorgte und das er mich lieb hatte. In einer SMS war so etwas viel leichter. Doch Wunschdenken brachte mich nie wirklich weiter, weshalb ich häufig ein anderes Thema zum Nachdenken in meine Gedanken rief.
Insgesamt war das Erstellen eines Profils für die Suche nach einer Partnerin oder neuen Freunden ein Spaß. Es dauerte nur knappe fünfundvierzig Minuten und zog die darauffolgenden Stunden noch etliche Änderungen von mir an meinen Texten mit sich. Das Foto hatte ich kurzerhand mit der Webcam gemacht. Es war etwas unscharf, das Licht war unvorteilhaft und ich blickte in die Kamera wie jemand, der beim Kacken im Wald von einem Bären überrascht worden war. Aufgerissene Augen, entsetztes Gesicht, Mund halb offen. Die nachfolgenden Stunden habe ich auch damit verbracht, ein passendes Foto von mir zu erstellen. Zum Glück gelang es mir nach zahlreichen Versuchen auch. Ein freches Lächeln, die Augen offen, aber nicht aufgerissen, und ein insgesamt besser ausgeleuchteter Hintergrund, der wohl nur die wenigsten interessieren dürfte, mich aber regelrecht erstrahlen ließ. Geschafft. Erst ganz zum Schluss stellte ich fest, dass mein Profil noch von einem Mitarbeiter der Betreiberseite überprüft wurde, bevor es der breiten Masse präsentiert werden konnte. Da wanderte auch mein Blick auf die Uhr am unteren Bildschirmrand, die mir mit einem kleinen Schrecken die Uhrzeit offenbarte. In zehn Minuten sollte die dritte Stunde des neuen Tages beginnen. Es fiel mir nicht leicht, doch ich schaltete den Computer samt Bildschirm aus und wollte noch kurz nachsehen, ob Tim vielleicht wieder heimlich die Nacht durchmachen wollte, was er zu meinem Erstaunen nicht tat. Er lag mit den Armen und Beinen ausgebreitet im Bett, als würde er einen Schneeengel machen wollen. Nur, dass er mit einer leicht pfeifenden Nase aufgedeckt dalag und im Land der Träume angekommen zu sein schien. Zufrieden rauchte ich noch eine Zigarette im Wohnzimmer und trank das Bier aus, was ich mir vor etlichen Stunden aufgemacht hatte, um es vor dem Computer zu trinken. Zum Wegkippen war es mir zu schade. Ich verschwendete ungern etwas, weshalb ich auch nicht selten aus fast nichts außer angebrochenen Lebensmitteln und Resten aus dem Kühlschrank und der Speisekammer ein sättigendes Mittagessen zauberte. Es schonte auch ein wenig den Geldbeutel.
Ich bin Paul und werde bald siebenunddreißig Jahre alt. Ich bin nicht gern allein und habe Angst. Und ich habe soeben einen wichtigen Schritt gewagt, was mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst war.
Am nächsten Morgen, an dem Tim anstandslos die Schulbank drückte, widmete ich mich mit einem großen Becher voll Kaffee bewaffnet wieder dem Computer. Andere Verpflichtungen hatte ich nicht, da ich durch die Scheidung nicht nur die halbe Familie, sondern auch meine Arbeit als selbstständiger Maler und Lackierer an die Wand gefahren hatte. Nicht freiwillig und auch ohne Absicht. Ich konnte nicht mehr zu den Kunden fahren, da ich immer wieder von Panikattacken überrascht wurde, was natürlich von den Kunden nicht unbemerkt blieb. Sie entzogen mir die Aufträge oder sagten feste Termine einfach ab und die Arbeitsaufträge blieben immer häufiger aus. Zum Glück erkannte ich das Problem rechtzeitig und löste den eigenen Betrieb einfach auf, bevor mir der finanzielle Ruin gedroht hätte. Der kam erst unmittelbar nach der unvermeidbaren Scheidung.
In meinem E-Mail-Postfach gab es Mails von der Singlebörse. In der Ersten wurde mir mitgeteilt, dass mein Profil noch überprüft werden musste, was ich ja schon wusste. In der nächsten stand, dass die Überprüfung erfolgreich abgeschlossen wurde und mein Profil nun live war. Und schlagartig hämmerte mein Herz vor dieser unbekannten virtuellen Welt, die ich nun ergründen wollte. Sofort loggte ich mich mit meinen Benutzerdaten ein und hatte auch dort zwei Nachrichten, wie mir von einer roten Zahl auf einem Briefumschlagsymbol angezeigt wurde. Total aufgeregt und doch etwas irritiert sah ich sofort in meinem privaten Postfach nach. Ich hätte da auch von selbst drauf kommen können, dass es sich um die gleichen Nachrichten handelte, die ich erst vor wenigen Minuten gelesen hatte. Aber so wusste ich wenigstens, wie es aussah, wenn mir jemand eine Nachricht innerhalb der Singlebörse schrieb, was ja in gewisser Weise etwas Beruhigendes hatte.
Ich untersuchte mein Profil auf Fehler und entdeckte dabei eine Art Matching-Liste. Das waren Fotos von anderen Profilen, wo ich mit einem grünen, nach oben gerichteten Daumen abstimmen konnte, wenn mir das Bild gefiel oder einen roten Daumen nach unten geben durfte, wenn mich das Gezeigte nicht ansprach. Der rote Daumen wurde ein toller Zeitvertreib. Die wenigen grünen, die ich vergeben hatte, hatten kaum Einfluss auf weitere Vorschläge von Profilen mit ähnlichen oder sogar gleichen Interessen, was wohl an meiner Herangehensweise lag. Aber ich empfand das alles als total spannend, weshalb ich …

ENDE der Leseprobe

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By Tino Dietrich

Tino Dietrich, geboren 1976 in Norddeutschland, absolvierte ein Literaturstudium in Hamburg. Er hat viele Jahre als Inhaber von erfolgreichen Betrieben in der freien Wirtschaft gearbeitet. Seit 2012 arbeitet er als freiberuflicher Schriftsteller, zertifizierter Texter im Online-Marketing für diverse Agenturen sowie erfolgreich als Romanautor und Ghostwriter. Tino Dietrich bildet sich fortan weiter und ist begeistert vom Selfpublishing. 2014 wurde u. a. seine Kurzgeschichte „Im letzten Winter“ bei einem Schreibwettbewerb prämiert. Mit seinem Romandebüt „Mila und Paul – Sonne im Norden“ fand der Autor aus dem Norden seinen Platz in einer stetig wachsenden Lesergemeinschaft.

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